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February 21

Artikel Schwetziger Zeitung über ehemalige Bewohnerin "Er hat mich wie eine Sklavin behandelt, beschimpft und gestalked"

Jede dritte Frau wird einmal in ihrem Leben Opfer häuslicher Gewalt. Tanja M. ist eine von ihnen.

© Frank May/DPA

Mit schwitzigen Händen greift Tanja M. (alle Namen sind von der Redaktion geändert) nach dem Einkaufswagen. Vorsichtig blickt sie sich um. Jetzt bloß von niemandem angesprochen werden, nur schnell den Einkauf erledigen. Irgendwo hier in der Nähe ist ihr Ehemann und beobachtet sie. Beobachtet, ob sie spurt. Und wenn er sieht, dass sie sich mit jemandem unterhält, dann würde er sie wieder grün und blau prügeln. Dann würde er sie schlagen, wie so oft, und sie würde die Gewalt über sich ergehen lassen.

Alles begann vor rund elf Jahren, als sich der Ehemann von Tanja M. plötzlich veränderte. Von heute auf morgen wurde aus dem liebevollen Partner und Vater dreier Söhne ein grausamer Tyrann. Jede dritte Frau in Deutschland ist mindestens einmal in ihrem Leben von physischer oder sexualisierter Gewalt betroffen. Etwa jede vierte wird Opfer körperlicher oder sexueller Gewalt durch ihren aktuellen oder früheren Partner. Betroffen sind Frauen aller sozialen Schichten. Tanja M. ist eine von ihnen.

„Er hat mich behandelt wie eine Sklavin“, erzählt Tanja im Gespräch, ihre Stimme ist zittrig. Sie habe ihre Freunde nicht mehr besuchen, ihre Familie nicht mehr sehen dürfen. Ihr Exmann Winfried P. kontrollierte ihr gesamtes Leben, schlug sie, trat sie. „Ich habe oft die Polizei gerufen. Die Beamten entfernten ihn dann immer für etwa vier Wochen, aber er kam jedes Mal zurück.“ Und nach wenigen Tagen ging die Tyrannei von vorne los. Tanja wurde angespuckt und brutal zu Boden getreten. Wenn sie zum Einkaufen fuhr, dann folgte Winfried ihr heimlich. „Die körperliche Gewalt ist das eine, aber die Beleidigungen haben mich noch viel schlimmer getroffen.“ Sie beschreibt die Hölle auf Erden. Gewalt und Beschimpfungen gehörten zu ihrem Alltag - sie habe noch nicht einmal mit den Nachbarn reden dürfen.

„All das habe ich einfach über mich ergehen lassen“, erinnert sich die heute 70-Jährige. „Nachdem die Polizei sechs- oder siebenmal bei uns gewesen ist, haben mir die Polizisten gesagt, dass sie mir nicht mehr helfen können. Also bin ich abwechselnd bei meinen drei erwachsenen Söhnen untergekommen und habe mal beim einen, mal beim anderen gelebt.“ Aber immer stand Winfried nach einiger Zeit vor der Tür, um Tanja abzuholen. Und sie hatte Mitleid und ist mit gegangen.

„Beim Arzt war ich oft - ich hatte schließlich viele Verletzungen. Der Doktor riet mir, ins Frauenhaus zu gehen“, erklärt Tanja. Dieser Begriff habe in ihr viele Fragen aufgeworfen: Wie läuft es denn da? Was ist das überhaupt? Angst machte sich in Tanja breit und sie beschloss, erst einmal zu ihrer Mutter zu ziehen. Aber auch dort tauchte Winfried wieder auf.

Es bleibt nur noch das Lügen

Nach fünf Jahren voller physischer und psychischer Gewalt wog Tanja nur noch knapp 43 Kilogramm. Mager war sie geworden, das fiel auch ihrem Umfeld auf. Aber unter den drohenden Blicken ihres Ehemannes konnte sie die Wahrheit nicht aussprechen und so blieb ihr nur noch das Lügen. „Er hat mich als Mumie und Skelett beschimpft, weil ich so dünn geworden war, und ich habe in den Spiegel geschaut und ihm still Recht gegeben.“

„Dreimal habe ich beim Frauenhaus angerufen. Beim ersten Mal war kein Platz frei. Beim zweiten Mal haben die Mitarbeiterinnen mir extra ein Zimmer freigehalten, aber mein Ex-Mann hat das Gespräch belauscht und auf mich eingeredet. Er sagte, ich sei verrückt geworden und gehöre in die Irrenanstalt. Da habe ich den Mut verloren“, sagt Tanja mit brüchiger Stimme. Ihre Augen füllen sich mit Tränen.

Der dritte Anruf aber sollte ihre Rettung bedeuten. An einem Tag im Oktober ging Winfried morgens um 8 Uhr aus dem Haus und Tanja witterte ihre Chance. Zwei Koffer mit dem Nötigsten richtete sie zusammen und machte sich mit der Hilfe einer Freundin auf den Weg nach Heidelberg ins Frauenhaus. „Bevor er wegging, sagte er mir noch, dass wir mittags schick Essengehen würden. Ich denke, er hat etwas geahnt und das deshalb zu mir gesagt. Ich hätte mit meinem zerkratzten Gesicht nicht in ein Restaurant gehen können“, erinnert sich die Rentnerin. Ihre Freundin habe sie bis zum Hauptbahnhof begleitet, in den Bus zum Frauenhaus aber musste sie alleine steigen, weil kein Außenstehender den genauen Ort des Hauses kennen darf.

„Ich hatte Angst, dass mein Ehemann mich verfolgt und war aufgelöst, weil ich meine Freundin zurücklassen musste, aber mir wurde vom Team des Frauenhauses und des Vereins ‚Frauen helfen Frauen‘ gut zugeredet. Dann stand ich vor einer ungewissen Zukunft.“ Über das Frauenhaus verliert Tanja nur gute Worte. Mitarbeiterinnen stellten sie den anderen Frauen und den vielen kleinen Kindern vor, die dort Schutz vor ihren gewalttätigen Partnern und Vätern gefunden hatten. „Wir waren gleich wie eine Familie, obwohl wir uns gar nicht kannten“, sagt die Rentnerin.

Die ersten paar Tage im Heidelberger Frauenhaus waren nicht einfach. Tanja hatte trotz aller schlimmen Erlebnisse Heimweh und wollte zurück nach Hause. Aber das Team des Frauenhauses und des Vereins „Frauen helfen Frauen“ machte ihr Mut, begleitete sie zu Ämtern und stellte ihr eine Anwältin zur Verfügung. „Immer wieder musste ich zum Sozialamt gehen. Das war mir unangenehm und ich habe mich geschämt. Mit meinen damals 66 Jahren musste ich Sozialhilfe beantragen, damit ich mir überhaupt etwas zu Essen leisten konnte“, erzählt die Frau, die in ihrem Leben so viel Leid ertragen musste.

Im Frauenhaus hätten sich die Betreuerinnen mit Herz und Geduld um alle gekümmert und Tanja habe angefangen, in einem Tagebuch ihre Geschichte niederzuschreiben. „Knapp zehn Monate habe ich im Frauenhaus verbracht. Ich war dort die älteste und hatte viel mit Schamgefühl zu kämpfen. Oft wollte ich raus, aber ich bin dageblieben“, sagt sie.

Es sei schön gewesen mit den anderen Frauen und den Betreuerinnen: Jeder hatte ein eigenes Zimmer, es gab Geschenke und Weihnachtsfeiern und gemütliche Abende im großen Wohnzimmer. „Ohne Hilfe hätte ich den Weg aber niemals geschafft“, betont sie. Noch heute stehe sie mit ihren damaligen Mitbewohnerinnen in Kontakt, denen sie viel zu verdanken habe.

Nach einiger Zeit im Frauenhaus habe Tanja sich mit der Erlaubnis der Betreuerinnen mit Winfried in der Stadt getroffen. „Er bohrte nach, wo ich nun lebte, wollte mich zurückholen und hat mir das Blaue vom Himmel versprochen“, erinnert sie sich. „Natürlich wollte und durfte ich nicht verraten, wo ich nun wohnte. Ich habe bei diesem Treffen gemerkt, dass er sich nicht verändert hatte und ich keinen Kontakt mehr möchte. Das habe ich ihm auch gesagt und da zeigte er wieder sein wahres Gesicht.“ Winfried wollte nicht locker lassen, versuchte sogar übers Rathaus an die Adresse seiner Ex-Frau zu kommen. Aber keiner wusste, wo Tanja war. Das musste sie geheim halten. Nach fünf Monaten im Frauenhaus riefen ihre Kinder an. „Sie haben mir Vorwürfe gemacht und gefragt, warum ich den Papa verlassen habe und wo ich bin. Lange durfte ich auch meine Enkelkinder nicht sehen. Aber im Frauenhaus hatte ich etwas, was ich daheim nicht hatte: ein freies Leben.“

Scheidung nach 48 Jahren Ehe

Heute lebt Tanja in einer schönen kleinen Wohnung und blickt voller Zuversicht in die Zukunft. Vor drei Jahren hat sie sich scheiden lassen. 48 Jahre war sie mit Winfried verheiratet gewesen. Ihr Ex-Mann hatte der Scheidung vor Gericht nicht zugestimmt. „Ich bin eine Kämpferin und möchte anderen mit meiner Geschichte Mut machen. Jede Frau, egal wie alt sie ist, sollte ins Frauenhaus gehen, wenn sie zu Hause Gewalt erfährt. Ich habe es dem Mann gezeigt, der so lange Herrscher über mich war und wenn ich das schaffe, dann schaffen das andere auch. Die Angst war am Anfang noch da, ich bin gebückt gegangen, habe mich ständig umgesehen. Aber ich habe es geschafft – und bin heute stärker denn je“, erzählt Tanja und strahlt.

Stärke zeigen. Das musste sie in der Vergangenheit so oft und auch heute noch scheint das Leben sie immer wieder vor Herausforderungen zu stellen. Nachdem Tanja ein halbes Jahr in ihrer neuen Wohnung gelebt hatte, stand plötzlich ihr Ex-Mann vor dem Fenster und bettelte sie an, zu ihm zurück zu kommen. Ihre Anwältin riet ihr, die Polizei zu rufen. „Nachdem die Beamten das vierte Mal zu mir gefahren waren, weil mein Ex-Ehemann mich stalkte, haben sie ein Annäherungsverbot ausgesprochen und seitdem habe ich ihn nicht mehr gesehen“, erzählt die 70-Jährige.

Probleme bereite Winfried ihr aber weiterhin. Zwei ihrer drei Söhne haben sich mit ihrem Vater versöhnt und verbieten Tanja den Kontakt zu ihren Enkeln. Das schmerzt. „Ich bin stolz auf meine Enkel, auch wenn ich sie nicht sehe.“ Und genauso stolz ist sie auf sich selbst. „Jetzt erst fängt mein Leben an. Die fünf Jahre, bevor ich ins Frauenhaus gegangen bin, habe ich gelebt wie in einem Gefängnis. Nun muss ich all das nachholen, was ich verpasst habe.“

Quelle: Schwetzinger Zeitung

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