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19.10.2021

Leben und arbeiten im Frauenhaus während einer Pandemie (Oktober 2021)

Stellen Sie sich vor Sie sind zu Hause mit Ihren 3 Kindern und seit 2 Wochen ist Ihr gewalttätiger Partner im Homeoffice. Die Schulen, Kitas, Vereine sind zu, jegliche Termine bei Ärzt*innen abgesagt, Sie können nicht Mal Ihre beste Freundin besuchen, zu Ihren Eltern flüchten oder ungestört telefonieren. Alle sind 24/7 zu Hause. Ein unbemerkter Anruf im Frauenhaus unmöglich.


Oder Sie sind die Person, die am anderen Ende des Telefons Frauen in dieser Notsituation beratend zur Seite steht. Der Anruf erreicht Sie Freitagnachmittag von einer Frau, die mit ihren beiden Kindern und dem Hund auf einen Spaziergang entkommen konnte und nun verzweifelt eine geschützte Bleibe sucht. Sie können Ihr keinen Platz anbieten, weil es zu dieser Zeit noch keine Corona-Schnelltests gibt, Sie die aktuellen Bewohnerinnen im eng besetzten Frauenhaus schützen müssen und noch kein Geld für eine Schleusenwohnungen zur Verfügung steht. Ein Jahr später gibt es zwar Schnelltests und Impfungen, dennoch müssen viele Frauenhäuser zum Schutz der Bewohner*innen die beengte Wohnsituation entzerren und belegen Teile der ohnehin viel zu knappen Frauenhausplätze nicht. So müssen Sie nach wie vor einen Großteil der Schutz suchenden Frauen und Kinder abweisen und an andere Frauenhäuser vermitteln, in der Hoffnung, dass sie dort einen Schutzplatz finden.


Dieser Druck lastet seit über eineinhalb Jahren täglich auf uns als Mitarbeiterinnen und den von Gewalt betroffenen Frauen und Kindern.


Mit diesem Bericht möchten wir allen Interessierten, Spender*innen, Vereinsfrauen und Unterstützer*innen einen kleinen Einblick in die Frauenhausarbeit während einer Pandemie geben.


Im Jahr 2020 hatten wir noch gehofft, das 40-jährige Jubiläum des Frauenhauses im darauffolgenden Jahr nachholen zu können. Neben Feierlichkeiten, die wir absagen mussten, wurden wir herausgefordert, innerhalb kürzester Zeit komplett neue und zugleich arbeitsfähige Strukturen zu erschaffen: Arbeiten im Schichtsystem mit Umleitung der Telefonanlage ins Homeoffice, der Anschaffung und Einrichtung von Diensthandys und Dienstlaptops für alle Mitarbeiterinnen mit der nötigen Datensicherheit sowie ausfüllen von Anträgen zur Finanzierung der Geräte.


Plötzlich stand neben dem Schutz vor Gewalt auch der Schutz vor Ansteckung.


Wir Mitarbeiterinnen investierten Zeit und Energie in die Erarbeitung eines umfassenden Hygienekonzeptes wie bspw. Bestellung von Schutzausrüstung, Recherche von geeigneten
Belüftungsgeräten, Aufbau von Kooperationen für Tests und Impfungen, Gründung des „Task-Force-Meetings“, welches schnelle Coronabezogene Entscheidungen treffen konnte.


Corona hatte unmittelbare Auswirkung auf die direkte Arbeit mit den Bewohnerinnen.


Bei einer neuen Aufnahme kommen Frauen i.d.R. nur mit dem, was sie tragen können. Niederschwellige Strukturen wie Second Hand Läden für ein paar Kleidungsstücke für die Kinder oder einem Kinderwagen waren geschlossen. Im ersten Lockdown waren einige wichtige Kooperationspartner*innen kaum oder gar nicht zu erreichen. Selbst die Bankkarte zu sperren, weil der Täter Zugriff hat, und ein neues Konto zu eröffnen war erschwert.


20 Frauen und Kinder zwei Wochen auf engstem Raum in Quarantäne versorgen.


Die Frauen leben mit ihren Kindern in einem Zimmer und teilen sich mit anderen Bewohner*innen Küche und Bad. Über Telefon versuchten wir während der Quarantäne durch Gespräche zu stabilisieren. Einkäufe und Beschäftigungen für die Kinder reichten wir über das Fenster in das Haus.


Für Notaufnahmen fehlen noch die geeigneten Räumlichkeiten und personellen Ressourcen.


Als zusätzliche Folge der Corona-Pandemie und aufgrund der räumlichen Gegebenheiten im Frauenhaus können wir seit März 2020 keine Notaufnahmen gewährleisten. Dies sind kurzfristige Unterbringungen von Frauen und Kinder von 1 bis 5 Tage, die nachts von der Polizei ins Frauenhaus gebracht werden. Diese Situation beschäftigt uns sehr. Hintergrund ist, dass der Wohnraum im Frauenhaus nicht ausreichend voneinander getrennt ist und wir so nicht sicherstellen können, dass die Bewohner*innen und Notaufnahmen nicht miteinander in Kontakt kommen. Notaufnahmen in externem Wohnraum unterzubringen ist zurzeit leider auch nicht möglich.


In 2020 ließ sich im Zuge der Umsetzung der Lockerungen ein Anstieg der Zahl der Frauen, die einen Platz im Frauenhaus suchten, beobachten. Dieser Trend schrieb sich im Folgejahr fort:


Im Juni 2020 gab es eine Belegung von 80,33 %, während die Belegung im Juni 2021 bei 93,83% lag.


Gemäß der Istanbul-Konvention gibt es ohnehin zu wenig Schutzplätze für Frauen und Kinder. Dieses Ungleichgewicht beschäftigt uns weiterhin, dennoch sind wir froh darüber, wie wir im Verein durch diese Zeit gegangen sind. Umso optimistischer schauen wir in die Zukunft und freuen uns das 45. Jubiläum 2025 zu feiern.

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