08.03.2022
Artikel Rhein-Neckar Zeitung 8. März 2022: "Es kann jede Frau treffen"
Heidelberg. Der Internationale Frauentag wurde erstmals 1911 ausgerufen. In den 70er-Jahren gewann der 8. März dann mit dem Aufkommen der Frauenbewegung an Bedeutung. "Damals entstanden auch die ersten Frauenhäuser und man dachte, dass diese in einigen Jahren durch die Stärkung und Emanzipation der Frauen nicht mehr gebraucht würden", erzählt Mona Albrecht-Baumgärtner vom Verein "Frauen helfen Frauen". Der Verein ist Träger des Heidelberger Frauenhauses – und Albrecht-Baumgärtner erlebt jeden Tag, wie falsch die Aktivistinnen damals mit ihrer Annahme lagen.
"Schon vor Corona ist die Zahl der von Gewalt betroffenen Frauen in ganz Deutschland kontinuierlich angestiegen", sagt Albrecht-Baumgärtner. Ihre Kollegin Eva Pannewick, die in der Beratungsstelle des Vereins arbeitet, berichtet, dass man dies auch in Heidelberg beobachtet habe. Eines der größten Probleme, mit dem die beiden bei ihrer täglichen Arbeit konfrontiert werden: "In den Frauenhäusern in Deutschland gibt es zu wenige Plätze", so Albrecht-Baumgärtner. Gemäß der Istanbuler Konvention zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen müssten es in Heidelberg aufgrund der Größe der Stadt 37 sein, tatsächlich seien es aber nur 20. Nicht immer können also Frauen, die aus ihrer Wohnung mit dem gewalttätigen Ehemann geholt werden müssten, im Frauenhaus unterkommen. "Manchmal gelingt es uns, sie an andere Frauenhäuser zu vermitteln, oder sie können bei Bekannten unterkommen – aber das klappt eben nicht immer", so Pannewick. Und dann wird es kompliziert. "Unser Bereitschaftsdienst ist zwar 24 Stunden am Tag besetzt", so Pannewick. Aber wenn es einfach gerade nirgendwo einen freien Platz gebe, müsse eine Aushilfslösung her, was "sehr frustrierend" sei. Zwei Zahlen verdeutlichen dieses Problem eindrücklich: 2020 wurden im Heidelberger Frauenhaus 58 Frauen und Kinder aufgenommen – und 434 abgewiesen.
Neben den erschwerten Bedingungen durch Abstandsregelungen und Quarantänevorschriften verschärft auch die Wohnungsnot in Heidelberg die Lage im Frauenhaus, dessen Standort aus Sicherheitsgründen unbekannt ist. "Der Wohnungsmarkt in Heidelberg ist immer angespannter und dadurch werden Plätze im Frauenhaus blockiert", sagt Albrecht-Baumgärtner. Auch für die Beratung sei das ein Problem, da vielen Frauen eine eigene Wohnung als Neuanfang oft schon reichen würde, ergänzt Pannewick. "Aber so sind die Frauen der Gewalt ihrer Männer weiter ausgesetzt, weil sie eben nicht ausziehen können."
Für die Mitarbeiterinnen im Frauenhaus ist die Situation besonders belastend. "Sie stehen unter großem Druck, eben weil sie Frauen abweisen müssen und auch, weil viele der Frauen durch die Gewalt von Ex-Partnern sterben", sagt Albrecht-Baumgärtner. Daher wollen die Mitarbeiterinnen zum Weltfrauentag in einen Streik treten – und einen Ausflug mit den Frauen und Kindern unternehmen.
Der Weltfrauentag ist auch deshalb für den Verein "Frauen helfen Frauen" wichtig, weil die Öffentlichkeitsarbeit ein wesentlicher Pfeiler der Vereinsarbeit ist. "Im Grunde geht es ja darum, dass es die strukturellen Bedingungen, die unsere Arbeit erforderlich machen, irgendwann nicht mehr gibt", so Albrecht-Baumgärtner. Deshalb soll der Weltfrauentag auch dafür genutzt werden, auf das Thema Gewalt gegen Frauen aufmerksam zu machen, da es laut Albrecht-Baumgärtner nach wie vor ein Tabuthema in der Gesellschaft ist. "Frauen, die Gewalt erfahren, werden gesellschaftlich abgewertet", so Albrecht-Baumgärtner. "Und das, obwohl es rein statistisch jede Frau in jeder Schicht treffen kann."
Info: Der Verein "Frauen helfen Frauen" ist Träger des Autonomen Frauenhauses, der Frauenberatungsstelle "Courage" und der Interventionsstelle für Frauen und Kinder. Mehr dazu im Internet unter www.fhf-heidelberg.de. 24-Stunden-Hilfetelefon: 06221 / 831282.