31.07.2022
Gleicher Umgang und gleiche Teilhabe für alle geflüchteten Menschen - Pressemitteilung ZIF
Juli 2022 - Zentrale Informationsstelle autonomer Frauenhäuser
Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine sind von dort rund 8 Millionen (1) Menschen geflohen. Die genaue Anzahl an Geflüchteten, die in Deutschland derzeit Schutz suchen, ist schwer zu ermitteln, weil ukrainischen Staatsbürger*innen eine visumsfreie Einreise für bis zu 90 Tagen möglich ist. Bislang sind im bundesweiten Verteilungssystem „Free“ 831.900 Menschen registriert, die aus der Ukraine nach Deutschland geflohen sind (Stand 13.5.2022) (2). Die meisten Geflüchteten sind Frauen und Kinder.
Erfreulicherweise verläuft die Aufnahme der Geflüchteten im Vergleich zur großen Fluchtbewegung im Jahr 2015 sowohl in der EU als auch in Deutschland weitgehend unkompliziert. Insbesondere zu Beginn der Fluchtbewegung wurde allerdings von PoC und Schwarzen Menschen aus der Ukraine berichtet, dass sie an den Grenzen zu Polen, Slowakei oder Ungarn zunächst an der Einreise gehindert oder von weißen Geflüchteten getrennt wurden.
In Deutschland sind die Geflüchteten aus der Ukraine die ersten und einzigen, die seit Schaffung der Regelung vor mehr als 20 Jahren unter den §24 AufenthG3 fallen. Geflüchtete aus der Ukraine werden damit in das normale Sozialhilfesystem (SGB II und SGB XII) eingegliedert und erhalten Zugang zu weiteren Leistungen wie Kindergeld und BAföG. Das ist gut und richtig so und bietet den Menschen schnell und unkompliziert eine Perspektive und Teilhabe in Deutschland.
Uns stellt sich die Frage, warum diese Verbesserungen bzw. guten Bedingungen nicht für alle Geflüchteten geschaffen werden. Pro Asyl schreibt dazu: „Wozu braucht es Wohnsitzauflagen, Verteilungen streng und rein nach Quote und vor allem das Asylbewerberleistungsgesetz noch, wenn den politisch Verantwortlichen offenbar sehr klar ist, dass es sich hier um mutwillig gelegte administrative Stolpersteine für die Integration handelt“? (4) Das Asylbewerberleistungsgesetz ist gekennzeichnet durch reduzierte Geldbeträge und entmündigende Sachleistungsregelungen, die eine menschenwürdige Teilhabe an der Gesellschaft nicht möglich machen (sollen).
Gewalt gegen Frauen kommt in Deutschland in allen gesellschaftlichen Schichten vor. Dennoch ist es für Frauen mit Migrations- und Fluchtgeschichte aufgrund ihrer geringeren Chancen auf dem Bildungs- und Arbeitsmarkt, ihres unsicheren Aufenthaltsstatus und möglichen Wohnsitzauflagen besonders schwer, sich aus der Gewaltbeziehung zu lösen und ein eigenständiges Leben aufzubauen. Neben den Frauen und Kindern aus der Ukraine suchen in Deutschland auch Frauen Schutz, die aus anderen Kriegs- und Krisenregionen wie beispielsweise Afghanistan, Äthiopien, Syrien oder dem Sudan geflohen sind. Sie leben teilweise seit Jahren mit einem unsicheren Aufenthaltsstatus, haben Wohnsitzauflagen und keine Arbeitserlaubnis. Eine Perspektive und gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft bleiben ihnen verwehrt. Wollen sie sich aus einer Gewaltbeziehung lösen, sind sie mit vielen Hürden konfrontiert: eine unkomplizierte Aufnahme in einem Frauenhaus ist aufgrund der vielerorts einzelfallabhängigen Finanzierung des Frauenhausaufenthalts nicht möglich (5). Wohnsitzauflagen verbieten es ihnen, an einen anderen Ort zu ziehen. Des Weiteren riskieren sie bei einer Trennung vom gewalttätigen Ehepartner vor Ablauf der Ehebestandszeit ihr Aufenthaltsrecht in Deutschland.
Die in 2018 in Deutschland in Kraft getretene Istanbul- Konvention erkennt eindeutig an, dass Frauen und Mädchen mit Migrations- und Fluchtgeschichte in besonderem Maße von Gewalt betroffen sind und besonderen Schutz benötigen (Artikel 59, 60, 61 Istanbul- Konvention). Auf den Artikel 59 Absatz 2 (6) und 3 (7) hat die Bundesregierung einen Vorbehalt bei der Ratifizierung der Istanbul- Konvention eingelegt. Das bedeutet, dass Deutschland sich aus der Pflicht nimmt, diese Artikel umzusetzen.(8)
„Ungleiche Rechte haben noch nie zur Gleichbehandlung von Menschen geführt. Wenn der Staat das Recht zum Schutz (…) nicht allen Frauen und Mädchen gleichermaßen zukommen lässt, dann haben wir nicht nur ein Menschenrechtsproblem, sondern auch ein Demokratieproblem“, so Dr. Delal Atmaca vom Dachverband der Migrantinnenorganisationen.9
Die Autonomen Frauenhäuser fordern:
• die Beendigung der deutschen Flüchtlingspolitik, die sie Absicht hat, dass nicht- weißen und nicht- christlichen Geflüchteten eine gleichberechtigte Teilhabe und langfristige Perspektive in Deutschland verwehrt bleibt.
• die Rücknahme des Vorbehalts auf Artikel 59 Absatz 2 und 3 der Istanbul- Konvention, damit Frauen und Mädchen mit Flucht- und Migrationsgeschichte endlich den gleichen Zugang zu Schutz und Unterstützung vor Gewalt haben.
• eine einzelfallunabhängige Finanzierung der Frauenhäuser auf bundesgesetzlicher Grundlage. Nur so kann sichergestellt werden, dass gewaltbetroffene Frauen mit Migrations- und Fluchtgeschichte jederzeit schnelle und unbürokratische Aufnahme in einem Frauenhaus finden.
1 https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1293762/umfrage/anzahl-der-kriegsfluechtlinge-aus-der-ukraine/
2 https://www.dgb.de/themen/++co++1d95467a-a3aa-11ec-8010-001a4a160123
3 Aufenthaltsgewährung zum vorübergehenden Schutz
4 Vgl. Pro Asyl: https://www.proasyl.de/news/oeffnung-des-sozialhilfesystems-fuer-ukrainische-gefluechtete-verdeutlicht-asylblg-abschaffen/
5 Vgl. hierzu: https://autonome-frauenhaeuser-zif.de/wp-content/uploads/2022/03/Kritik-Tagessatzfinanzierung-deutsch-Website-ZIF.pdf
6 Die Vertragsparteien treffen die erforderlichen gesetzgeberischen oder sonstigen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass bei dem Opfer Ausweisungsverfahren ausgesetzt werden können, die in Zusammenhang mit einem Aufenthaltsstatus eingeleitet wurden, der vom Aufenthaltsstatus seiner Ehefrau oder Partnerin im Sinne des internen Rechts beziehungsweise seines Ehemanns oder Partners im Sinne des internen Rechts abhängt, damit es den Opfern ermöglicht wird, einen eigenständigen Aufenthaltstitel zu beantragen.
7 Die Vertragsparteien erteilen dem Opfer einen verlängerbaren Aufenthaltstitel, wenn mindestens einer der beiden folgenden Fälle vorliegt: a) Die zuständige Behörde ist der Auffassung, dass der Aufenthalt des Opfers aufgrund seiner persönlichen Lage erforderlich ist; b) die zuständige Behörde ist der Auffassung, dass der Aufenthalt des Opfers für seine Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden bei den Ermittlungen oder beim Strafverfahren erforderlich ist.
8 Vgl. dazu Alternativbericht des Bündnis- Istanbul- Konvention S.174 ff. https://www.buendnis-istanbul-konvention.de/wp-content/uploads/2021/03/Alternativbericht-BIK-2021.pdf
9 Dr. Delal Atmaca, Geschäftsführerin von DaMigra (Dachverband der Migrantinnenorganisationen)