08.03.2023
Demo 8. März in Heidelberg - unser Redebeitrag
"Wir freuen uns heute reden zu können.
Gestern waren wir beim bundesweiten Frauenhausstreik in Berlin und haben die Energie und unsere Rede von dort mitgebracht.
Nicht nur Frauen leiden unter dem Patriachat. Insbesondere auch Inter-, Non-binary und Transpersonen sind wie Frauen von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen und erleben tagtäglich Unterdrückung. Wir möchten uns in unserer Rede auf Lage von Frauen konzentrieren und sprechen als Verein Frauen helfen Frauen Heidelberg und Mitarbeiterinnen des Frauenhauses.
Die vergebliche Suche nach einem Schutzplatz ist für Frauen, die ohnehin schon vor Diskriminierung und Rassismus betroffen sind, besonders schwierig. Ein komplexes System aus Zuständigkeiten und ein Flickenteppich der Finanzierung von Schutzplätzen legen Frauen auf der Suche nach Schutz schwere Steine in den Weg. Dazu kommen Probleme durch Aufenthaltsgesetze und Wohnsitzauflagen.
Artikel 59 der Istanbul Konvention ist für migrantische Frauen und Frauen in Asylverfahren eine wichtige Garantie für Schutz. Er regelt, dass Frauen ein Aufenthaltsrecht unabhängig von ihrer Ehe erhalten und formell Zugang zu Schutz haben.
Die letzten Jahre gab einen Vorbehalt der Bundesregierung gegen diesen Artikel und er galt in Deutschland faktisch nicht. Erst seit einem Monat gilt dieser Artikel auch hier.
Die Regierung argumentierte, dass der Artikel durch andere Gesetze bereits umgesetzt wurde. Doch Frauen mussten die Gewalt beweisen und in ihrem Verfahren ausführlich die Gewalterlebnisse darlegen, um als Härtefall einen eigenständigen Aufenthalt zu bekommen.
Nicht alle Frauen wollen den Gewalttäter bei der Polizei anzeigen. Nicht alle Frauen erleben physische Gewalt. Doch Isolation, Moddrohungen, starke finanzielle Abhängigkeit sind ebenfalls Gewalt. Diese Forderung nach Beweisen stellte oft ein Hindernis für ein unabhägiges Aufenthaltsrecht und ihren Schutz dar.
Das unabhängige Komitee GREVIO, welches die Umsetzung der Istanbul Konvention überprüft, hat im letzten Jahr festgestellt, dass migrantische Frauen oft vor die unmenschliche Wahl gestellt wurden: Gewalt oder Abschiebung? Das muss sich ändern!
Seit Februar gilt als Artikel 59 der Istanbul Konvention und die Frauenhäuser, migrantische Verbände und andere feministische Organisationen werden nun ganz genau beobachten, ob dieser unhaltbare Zustand sich ändert. Denn das muss er, jetzt!
Auch das Finanzierungssystem der Frauenhäuser steht dem Schutz von Frauen mit Migrationsgeschichte im Weg. Nicht in allen Bundesländern ist der Aufenthalt im Frauenhaus kostenlos. In Baden Württemberg gibt es einen Tagessatz – die Frau muss für ihren Schutz vor Gewalt selbst aufkommen! Was setzt das für ein Signal? Du hast Gewalt erlebt und musst selbst dafür bezahlen? Diese frauenfeindliche Logik sollte nicht weiter Grundlage sein.
Wenn die Frau kein eigenes Einkommen und Anspruch auf Bürgergeld hat, bezahlt das Jobcenter diesen Tagessatz. Doch wenn die Frau geflüchtet ist und Geld aus dem Asylbewerberinnenleistungsgesetz bezieht – hat sie keine Chance auf eine Kostenübernahme! Ein Umzug und die Flucht in ein anderes Bundesland wird durch die Residenzpflicht erschwert.
Die Verwehrung von Schutz für geflüchtete Frauen ist struktureller Rassismus.
Und Schuld daran ist die unterschiedliche Finanzierung der Frauenhäuser. Es muss eine bundeseinheitliche Regelung geben, die diesen Misstand schleunigst behebt!
Dasselbe Problem betrifft auch Studentinnen, erwachsene Schülerinnen, die Bafög beziehen, oder Rentnerinnen. Oft finden Frauenhausmitarbeiterinnen Lösungen für die komplexen Probleme, doch die STRUKTUR und das SYSTEM, welches gewaltbetroffene Frauen diskriminiert, muss sich ändern.
Wir haben gesehen, wo ein politischer Wille ist, ist auch ein Weg: Russland führt einen Krieg gegen die Ukraine. Die Menschen, die sich nach Deutschland flüchten konnten, haben schnelle Unterstützung und Aufenthaltsgarantien bekommen und nun Zugang zum Sozialhilfesystem, Bafög, Bürgergeld und Kindergeld. Das ist großartig und so sollte es sein!
Diese Gleichbehandlung sollte Vorbild für den Umgang auch mit Geflüchteten aus dem Sudan, aus Afghanistan, aus Syrien, aus dem Irak, aus Eritrea und allen anderen Ländern sein.
Ein Fluchthintergrund sollte einer gewaltbetroffenen Frau nicht den Schutz vor Gewalt und ein unabhängiges Leben in Deutschland verwehren!
Von Gewalt sind ALLE Frauen betroffen. Unser Feminismus, unser Gewaltschutz sind intersektional! Wir arbeiten für den Schutz aller Frauen und wir setzen uns politisch für den Schutz von Frauen ein.
Die Politik muss endlich für alle Frauen, die sich in Deutschland befinden, Schutzmaßnahmen garantieren und finanzieren! Umsetzung der Istanbul Konvention bedeutet entsprechende FINANZIERUNG!
Und das nicht allein aus dem Frauen-, Gleichstellungs-, oder sogar „Familien“ haushalt. Gewalt ist ein GESAMTGESELLSCHAFTLICHES Problem. Die gesamte Gesellschaft ist für die misogynen Vorstellungen verantwortlich., die Männer das Gefühl geben, das Leben von Frauen kontrollieren zu können und Gewalt gegen Frauen kleinzureden.
In Frauenhäusern sind Frauen sicher vor Femiziden, vor Unterdrückung, vor Abhängigkeit, vor Demütigung – wenn sie es zu Hause nicht sind.
Und trotzdem gibt es gerade mal ein Viertel der Plätze, die gebraucht werden!
In Gedenken an die Frauen, die von ihren Partnern, Ex-Partnern oder Familienangehörigen auf brutalste Weisen ermordet wurden, fordern wir die Verantwortlichen auf, SOFORT für mehr Schutzplätze zu sorgen. In Heidelberg und deutschlandweit!"