17.09.2020
Gewalt gegen Frauen und Wohnungsnot. Was bedeuted das für Heidelberg
Seit langem ist bekannt, dass die Wohnungsmarktsituation in Heidelberg und Umgebung extrem angespannt ist. Seit langem ist auch bekannt, dass in ganz Deutschland dringend benötigte Frauenhausplätze fehlen. Das führt zur folgenden Situation im Heidelberger Autonomen Frauenhaus:
Im März 2019 zog eine Frau mit ihren zwei Kindern ein. Nach eineinhalb Jahren hat sie Aussicht auf eine bezahlbare Wohnung ab Oktober.
Im April 2019 zog eine Frau mit ihren drei Kindern ein. Nach einem Jahr und fünf Monaten hat die Familie im November die Aussicht auf eine bezahlbare Wohnung.
Im Juli 2019 zog eine Frau auch mit ihren drei Kindern ein. Nach einem Jahr und zwei Monaten haben die vier eine bezahlbare Wohnung ab Mitte September gefunden.
Diese drei Familien, sowie andere Frauen und Kinder finden bei uns im Autonomen Frauenhaus Heidelberg Schutz vor Gewalt. Sie werden durch die professionelle Begleitung unserer Sozialarbeiterinnen unterstützt und können so lange bei uns bleiben, wie sie diesen Schutzraum benötigen. Das ist individuell sehr unterschiedlich. Manche sind nach einigen Monaten schon bereit auszuziehen, andere brauchen die Hilfe länger.
Doch immer mehr Frauen und Kinder bleiben länger als nötig bei uns, weil sie keinen bezahlbaren Wohnraum finden. Das Frauenhaus wird zum Wohnraumersatz. Das ist alarmierend. Die Prognosen sind besorgniserregend: Wohnungen werden weiterhin teurer und es wird viel zu wenig bezahlbarer Wohnraum gebaut. Täglich gehen bei uns weitere Platzanfragen für von Gewalt betroffene Frauen und Kinder ein. Anfragen, denen wir in unserem Frauenhaus keinen Schutzraum bieten können. Anfragen, die wir im besten Fall an ein anderes Frauenhaus weitervermitteln können. Würden die oben genannten Familien schneller eine Wohnung finden, so könnten wir die Plätze schneller neu vergeben und so deutlich mehr Frauen und Kindern bei uns Schutz bieten.
Mangelnder bezahlbarer Wohnraum darf kein Grund sein, dass Frauen und Kinder keinen Platz im Frauenhaus finden.
Seit 2018 ist die Istanbul-Konvention geltendes Recht in Deutschland. Damit hat sich Deutschland unter anderem verpflichtet häusliche Gewalt und Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen, gewaltbetroffene Frauen und Ihre Kinder zu unterstützen und wirksame Schutzmaßnahmen für diese umzusetzen. Als Frauenhaus leisten wir einen wichtigen Beitrag an der Erfüllung dieses Auftrags. Dafür benötigen wir freie Plätze und somit bezahlbare Wohnungen.
Ein Blick auf unsere Website von Frauen helfen Frauen e.V. macht die Not noch deutlicher: Hier wenden wir uns bereits hilfesuchend an Vermieter*innen, die ihre Wohnungen vermieten wollen. Wir sind dankbar für alle, die uns bisher unterstützt haben. Allerdings wird der strukturelle Wohnungsmangel und die zu hohen Mieten auf diese Art nicht behoben.
Warum finden die Frauen keine Wohnung?
Auch diese Gründe sind nicht neu.
Fakt ist, dass alleinerziehende, Frauen mit Kindern - insbesondere mit vielen Kindern - und Menschen mit geringem Einkommen es auf dem Wohnungsmarkt schwer haben.
Fakt ist, dass Frauen meist die Haus- und Pflegearbeit verrichten, die nicht entlohnt wird. Fakt ist auch, dass Frauen aus dem Frauenhaus oftmals aufgrund ihres Geschlechts, dem sozialen Status, der finanzielle Situation, ihrer Sprache, ihres Aufenthaltsstatus oder ihrer Herkunft weniger Chancen auf eine Wohnung haben.
Die meisten Frauen, die im Frauenhaus neu anfangen stehen in finanzieller Abhängigkeit zum gewalttätigen Ehemann und sind nach der Trennung zunächst auf Sozialleistungen angewiesen. Das wirkt sich enorm auf die Wohnungssuche aus. Bevor die Frau den Mietvertrag unterschreiben darf, prüft das Jobcenter die sogenannten „Angemessenen Kosten der Unterkunft“. Hierfür werden die für Heidelberg festgelegten Mietobergrenzen herangezogen. Diese Mietobergrenzen sind viel zu niedrig. Sie entsprechen in keiner Weise dem Mietspiegel und dem realen Angebot auf dem Heidelberger Wohnungsmarkt.
Die Folge: Diese Frauen finden keine Wohnung.
Wir von Frauen helfen Frauen e.V. Heidelberg fordern daher:
- Bezahlbaren und guten Wohnraum für alle
- Umgehende Anpassung der Mietobergrenzen um mindestens 30%
- regelmäßige Überprüfung und Anpassung der Mietobergrenzen entsprechend der regionalen Mietpreisentwicklung
- Anpassung der Einzelfallbezogenen Mietobergrenze durch Berücksichtigung der besonderen Lebenslage z.B. Wohnsituation in einem Frauenhaus
- Bezahlbare Wohnungen für alleinerziehende Frauen mit ihren Kindern in allen Stadtteilen und somit soziale Durchmischung
- Gerechten Zugang zu Wohnraum, unabhängig von finanziellen Mitteln, Geschlecht, Aufenthaltsstatus, Alter, Herkunft, Körperlichkeit, Haut, Sexualität und Weltanschauung.
In der Hoffnung, dass die nächste Frau mit ihren Kindern ausziehen kann, wenn sie dazu bereit ist ein selbstbestimmtes Leben zu führen.
Und in der Hoffnung, dass alle von Gewalt Betroffenen im suchenden Moment Schutz bekommen.
Redebeitrag von Frauen helfen Frauen e.V. bei einer Veranstaltung des Mietervereins Heidelberg im September 2020