26. November 2020
Artikel RNZ zur Situation im Autonomen Frauenhaus Heidelberg
Eine Frau sitzt in einem Frauenhaus auf einem Bett. Die Einrichtungen bieten Schutz, wenn der Partner zur Gefahr wird. Auch in Heidelberg sind viele Frauen auf dieses Angebot angewiesen, nicht alle können aber die Hilfe in Anspruch nehmen. Symbolfoto: Maja Hiti
Die doppelte Krise des Frauenhauses
Zwischen Platzmangel und Abstandsregeln: Corona-Pandemie verschärft die Situation - Etliche Frauen müssen abgewiesen werden
Natascha Koch
Heidelberg. Der Internationale Tag zur Beseitigung der Gewalt gegen Frauen wird jährlich am 25. November begangen. Es geht darum, Aufmerksamkeit zu schaffen für alle Frauen, die Opfer von häuslicher oder staatlicher Gewalt werden. Und nie war das Thema aktueller als während der Corona-Pandemie. Familien befinden sich in häuslicher Isolation, Frauen haben wenige Chancen, sich zum Schutz an Dritte zu wenden.
"Das Hilfesystem ist auf lose Kontakte angewiesen," sagt Esther Ehrenbrand, die im Autonomen Frauenhaus Heidelberg mit Kindern arbeitet, deren Mütter dort Zuflucht gefunden haben. Lose Kontakte seien dabei häufig Kollegen, Lehrer oder Freunde, denen erste Anzeichen von Gewalt auffallen könnten. Mit den Corona-Einschränkungen sei für viele Frauen diese Chance weggefallen, sich aus der Situation zu befreien. Wie sollte man auch eine Flucht planen, wenn es keinen Grund gibt, das Haus zu verlassen?
Im Zuge des ersten Lockdowns verzeichnete das Frauenhaus Heidelberg deutlich weniger Anfragen, besonders telefonisch. Mit den ersten Lockerungen erhielten sie allerdings mehr Anfragen als je zuvor. Zur Einhaltung der Hygienevorschriften mussten aber die Plätze entzerrt und Außenwohnräume beansprucht werden, was für das Frauenhaus einen großen Kosten- und Arbeitsaufwand bedeutete. Mittlerweile werden die Plätze wie üblich angeboten. Doch die Anforderungen an den Infektionsschutz bleiben enorm, besonders durch die Beherbergung von Kindern auf engem Raum.
Die Politik müsse noch viel mehr für den Schutz von Frauen tun, besonders in Krisenzeiten, finden die hauptamtlichen Mitarbeiterinnen des Frauenhauses. Sie fordern eine einheitliche, unabhängige Finanzierung aller Frauenhäuser per Gesetz. Denn noch hängen die Zuschüsse von den Kommunen und Bundesländern ab, was zu einem Flickenteppich an Regelungen führt.
Laut der Istanbul-Konvention des Europarates ist Deutschland dazu verpflichtet, einen Frauenhausplatz pro 7500 Einwohner anzubieten. In Heidelberg allein fehlen 17 Plätze. 2019 sah sich das Frauenhaus dadurch dazu gezwungen, 152 Frauen und 201 Kinder abzuweisen. "Die Kassen sind knapp, und dabei wird das Frauenthema oft nach hinten gerückt", sagt Kathrin Himmelmann, die im Frauenbereich des Frauenhauses arbeitet.
Die größte Herausforderung für die Hauptamtlichen in Heidelberg bleibt die Suche nach eigenen Wohnungen für die Frauen und ihre Kinder. Die Frauen sind hier abhängig vom Jobcenter, welches anhand der Mietobergrenze die "angemessenen Kosten der Unterkunft" ermittelt und erst dann das Unterschreiben eines Mietvertrags genehmigt. Diese Mietobergrenze ist laut dem Verein "Frauen helfen Frauen", dem Träger des Frauenhauses, allerdings realitätsfern, zumindest was den Wohnungsmarkt in Heidelberg angeht. Somit blieben die wenigen Plätze im Frauenhaus häufig viel zu lange belegt.
Generell betonen beide Mitarbeiterinnen die Bedeutung von Aufklärungsarbeit. Diese müsse an Frauen selbst gerichtet sein, um sie über ihre Rechte zu informieren. Die Ursachenbekämpfung dürfe aber auch nicht zu kurz kommen. Es sei wichtig, auch schon in der Schule Jungen aufzuklären, wie zerstörerisch falsch verstandene Maskulinität sein könne. "Anstatt nur auf den Schutz zu achten, muss besonders geschaut werden, dass Gewalt gar nicht passiert", sagt Ehrenbrand.
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